Mit Geflüchteten sprechen - statt über sie
Der Einladung der Vereine AspergAnders und Demokratisches Zentrum Ludwigsburg waren am vergangenen Montag gut 30 Menschen gefolgt, um das zu tun, was in der Diskussion um die geplante Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) auf dem Schanzacker zwischen Tamm und Asperg bislang fehlt - in Austausch zu gehen mit denjenigen, die von einer solchen Einrichtung unmittelbar betroffen wären: geflüchtete Menschen.
Als ehemaliger nigerianischer Beamter ist Rex Osa selbst vor 18 Jahren aus politischen Gründen aus seiner Heimat nach Deutschland geflohen. Er war in verschiedenen LEAs untergebracht und schilderte seine Erfahrungen. Er sprach über die immensen Einschränkungen der persönlichen Freiheit, die er in den Jahren seines Asylverfahrens erleben musste, und die sich hinter Begriffen wie „Sachleistungen“ oder „Residenzpflicht“ verbergen. „Wenn du geduldet bist, bist du nur eine Nummer und kannst jederzeit abgeschoben werden. Das bedeutet schlaflose Nächte, über Jahre“, so Osa. Und: „Durch dieses Leben in Unsicherheit habe ich vier Jahre verloren. Hätte ich Ruhe und Unterstützung gehabt, ich hätte so viel mehr zurückgeben können.“ Er habe sich nicht vorstellen können, dass man in einem Land wie Deutschland derart um seine elementaren Menschenrechte kämpfen müsse, ergänzt der Aktivist. Allein die Tatsache, dass Geflüchtete zu Beginn ihrer Zeit in Deutschland immer wieder Papiere unterschreiben müssten, deren Inhalte sie nicht kennen, und damit ihnen unbekannten Bestimmungen unterliegen, die im weiteren Verfahren auch gegen sie verwandt werden, sei ein Skandal. Als Beispiel, wie es auch anders gehen kann, führt Osa das kanadische Asylsystem an: „Dort hat man als Geflüchtete:r erstmal zwei Jahre lang Ruhe: man lernt die Sprache, man darf arbeiten, man lebt nicht in ständiger Angst einer drohenden Abschiebung.“
Die relativ junge Regelung der sogenannten Arbeitsduldung in Baden-Württemberg nennt Osa eine moderne Form der Versklavung: Die Geflüchteten, die durch den Nachweis über eine Arbeitsstelle geduldet würden, seien ihren jeweiligen Arbeitgeber:innen ausgeliefert. „Natürlich gibt es auch gute Chefs“, so Osa. Refugees4Refugees seien jedoch zahllose Fälle bekannt, wo Firmen den Umstand ausnutzen, dass geflüchtete Angestellte darauf angewiesen sind, ihren Job zu behalten, weil daran ihre Aufenthaltserlaubnis hängt.
Auf der anderen Seite würden eigentlich dringend benötigte Arbeitskräfte abgeschoben. Osa berichtet vom Fall einer Familie mit nigerianischen Ursprüngen, die seit neun Jahren in Bayern lebt, optimal integriert sei, zwei von vier Kindern unmittelbar vor dem Schulabschluss – und die sich jetzt in einem für sie weitestgehend fremden Land wiederfänden. „Wir hier in Deutschland haben in die Ausbildung dieser Jugendlichen investiert – und nun werden sie abgeschoben, bevor sie davon etwas zurückgeben können. Das ist auch volkswirtschaftlich kontraproduktiv.“, so Osa.
Neben inhaltlichen Fragen zu Einzelheiten des deutschen Asylrechts und zur aktivistischen Arbeit des Referenten wurde im Publikumsgespräch dann vor allem die Frage diskutiert, was es für eine menschlichen Asylpolitik in Deutschland bräuchte und wie eine Ankunft für traumatisierte Menschen aussehen könnte, die nicht zur Retraumatisierung führt. „Uns ist vor allem Sichtbarkeit und Austausch wichtig“, meint Rex Osa, der im Rahmen von Refugees4Refugees geflüchteten Menschen eine Stimme gibt. „In der Wahrnehmung vieler Menschen, auch hier in Asperg, sind Geflüchtete oft eine gesichtslose, bedrohliche Masse. Einrichtungen wie LEAs tragen weiter zur Separierung zwischen ansässiger Bevölkerung und Geflüchteten bei und verhindern den so dringend benötigten Dialog.“
Die Veranstaltung im Asperger Haus der Vereine soll, so der Tenor der Gespräche im geselligen Nachgang zum Podiumsgespräch, der Auftakt für weitere Dialogformate sein, in denen die Perspektive Geflüchteter sichtbar gemacht wird. So soll deutlich werden, dass es zu beiden Seiten des Hohenaspergs Bürger:innen gibt, die sich von den zum Teil rassistischen Narrativen der Bürgerinitiative „GGLTA“ ("Gemeinsam gegen LEA Tamm Asperg") distanzieren. „Eine Distanzierung von der Bürgerinitiative, gerade auch durch die Kommunalpolitik und -verwaltung, halten wir für dringend geboten“, erklärt Nora Oehmichen von AspergAnders. Auch angesichts des bundesweiten Rechtsrucks sei es wichtig, dass Bürgermeister und Gemeinderäte deutlich machten, wo sie stehen. „Man kann gegen den Bau der LEA auf dem Schanzacker sein, ohne sich mit einer zumindest rechtsoffenen Initiative gemein zu machen. Hier ist von allen demokratischen Parteien Haltung gefragt – auch und gerade dann, wenn es unbequem wird.“, ergänzt Steffen Haag vom Demokratischen Zentrum Ludwigsburg.